GAND: Seltene Gen-Mutation von GATAD2B

Mit einer Prävalenz von nur 1:1.000.000 ist GAND (GATAD2B-Associated Neurodevelopmental Disorder) eine sehr seltene Erkrankung. Daher erhält sie leider auch wenig Beachtung. Wir sprachen mit Patricia Scholz, Mutter eines 2-jährigen Sohnes, über die Herausforderungen mit GAND, Perspektiven und die Vernetzung von Betroffenen.

 

Frau Scholz, Sie haben sich bei uns gemeldet. Warum ist Ihnen die Awareness für GAND wichtig?

Da gibt es für mich 2 bestimmte Gründe:

1) Es gibt so viele seltene Gendefekte und Krankheiten, die in der Bevölkerung unbekannt sind.

Bei GAND ist es natürlich auch so - momentan 190 Fälle weltweit, 12 in Deutschland. Aber es gibt noch so viele Kinder ohne Diagnose - die Eltern, Mediziner und Humangenetiker sollen auch diesen Gendefekt nicht außer Acht lassen. Es macht mich jedes Mal wütend, wenn ein neues betroffenes Kind zu uns kommt, und wir dann hören: „Man hat uns gesagt, wir sind die Einzigen in Deutschland.” Klar, wir sind (noch) selten - als wir die Diagnose bekommen haben, gab es einen einzigen weiteren Fall in Deutschland. Mittlerweile sind 10 weitere dazu gekommen, in 11 Monaten. Man muss darauf aufmerksam machen, dass es nicht nur Trisomie 21 oder Angelman gibt. Natürlich - es gibt Tausende von Gendefekten. GAND wurde erst 2013 entdeckt und ist noch recht unerforscht - aber da draußen gibt es noch zig unentdeckte Betroffene.

 

2) Ist es mir wichtig zu zeigen, dass unsere Kinder keine Monster sind, nur weil sie einen seltenen Gendefekt haben. Die Leute werden manchmal komisch im Verhalten, wenn es heißt, mein Kind hat einen Gendefekt, mein Kind ist geistig behindert. Aber diese GAND Kinder sind die liebenswertesten und fröhlichsten Kinder überhaupt. GAND ist nicht ansteckend.

 

Können Sie kurz erklären, was diese seltene Erkrankung für ein Kind bedeutet?

Patricia Scholz mit Sohn

Patricia Scholz mit ihrem Sohn Jan

(Credit: Jenny Klestil Photographie)

Die meisten GAND Kinder sind entwicklungsverzögert und haben ein Sprachproblem. Sie haben eine Störung der Planung von Sprechbewegungen. Sie zeigt sich im Bereich von Artikulation, Sprechmelodie und -rhythmus sowie Sprechverhalten. Die meisten Kinder beherrschen ca. 30-50 Worte.

Die Kinder sind geistig behindert, die Spannbreite geht von „Ich habe eine leichte Lernschwäche“ - bis hin zu „schwerst geistig behindert”.

Aber auch Fütter‑, Ess- und Schluckstörungen bei Säuglingen und Kindern kommen vor, Muskelhypotonie, Makrozephalie, Schielen, in einigen Fällen auch Epilepsie. Die Kinder sind teilweise nicht trocken zu bekommen, und müssen auch wenn sie älter sind, gewickelt werden. Sie haben Bewusstseins- und Wahrnehmungsstörungen. Und jedes Kind für sich ist wie eine Wundertüte – niemand kann absehen, wie sie sich körperlich und geistig entwickeln.

Es gibt Kinder, die nicht oder sehr spät laufen, sitzen, krabbeln können, und dann gibt es Kinder mit GAND, die ein Balance Board oder Fahrrad fahren können.

 

Wie war Ihr Weg bis zur Diagnose? Hat dies lange gedauert?

Die ersten Anzeichen gab es, als unser Sohn 4 Monate alt war. Wir waren erst beim Kinderarzt, dieser hat uns dann zu einer Kinderneurologin überwiesen. Diese hat sehr schnell den Verdacht eines Gendefektes gehabt. Aber sie hat gemeint, es wird nichts Schlimmes sein, da er etwas entwicklungsverzögert war. Sie wollte ihm Zeit geben, bis er ein Jahr alt ist, um dann die Entwicklungsverzögerung zu beurteilen. Nach seinem ersten Geburtstag hatten wir wieder einen Termin zur Kontrolle und zum Schlaf EEG und haben dann eine Überweisung für die Humangenetik bekommen. Dort haben wir im Februar 2020 einen Termin erhalten und Ende Mai 2020 haben wir die Diagnose schwarz auf weiß in der Hand gehalten. Andere Betroffene warten allerdings jahrelang auf eine Diagnose.

 

Wie beeinflusst die Erkrankung Ihres Sohnes das Familienleben?

Zunächst einmal ist für uns der Gendefekt keine Erkrankung- Krankheiten kann man (meist) heilen - Gendefekte nicht.

Natürlich haben wir uns ein anderes Leben für unseren Sohn erträumt. Jetzt ist er noch in einer Regelkrippe mit einem Integrationsplatz, aber er wird wahrscheinlich nie eine reguläre Schule besuchen. Er bekommt momentan 3x in der Woche Therapien - und wenn Corona nicht wäre, dann vielleicht auch noch eine Reittherapie.

 

Wir brauchen mehr Zeit und vielleicht auch mehr Geduld, um ihn zu versorgen. Es fängt mit dem wickeln und anziehen morgens an. Er trinkt noch nicht aus Bechern und er benutzt kaum bis selten einen Löffel oder eine Gabel beim Essen. Zum Teil muss er gefüttert werden, und er bekommt immer noch seine Milchflaschen morgens und abends. Er fängt jetzt erst an zu laufen - also müssen wir ihn auch noch oft tragen. Natürlich benötigt er viel mehr Zeit und Aufmerksamkeit, aber wir möchten ihn nicht missen. Er gibt uns viel Freude und Fröhlichkeit zurück – und zeigt uns, was wirklich wichtig im Leben ist.

 

Gibt es Therapien/Behandlungsmöglichkeiten?

Jan bekommt seit seinem 4. Lebensmonat Physiotherapie. Seit Oktober letzten Jahres ist die Frühförderung, Logopädie und Heilpädagogik dazu gekommen. Wir sind noch nach der Suche nach einer Reittherapie im Umland. Und natürlich wissen wir von anderen Eltern, dass auch eine Delphintherapie oder auch ein Therapiehund sinnvoll sein können.

 

Sie haben für eine Vernetzung von Eltern gesorgt. Warum ist Ihnen dies wichtig?

Bisher haben alle Eltern in Deutschland (momentan sind es 11) immer bei dem Diagnosegespräch den Satz zu hören bekommen: „Sie sind die Einzigen in Deutschland”. Das stimmt ja, wie wir wissen, nicht.  Aber diese Eltern werden nach der Diagnose meist allein gelassen und sind auf sich selbst gestellt. Dadurch, dass GAND so selten ist, bekommt man im Internet wenige Informationen dazu. Es gibt in den USA eine Organisation von betroffene Eltern, „Helping Hands for GAND”, die sich bereits für Aufklärung und Austausch, aber auch für die Erforschung einsetzt. Diese ist aber in Amerika - und nicht jeder ist fit genug im Englischen oder hat einen Facebook Account, um sich mit den anderen weltweit verstreuten betroffenen Eltern auszutauschen. Daher war ein mir ein starkes Bedürfnis, sich auch in Deutschland zu vernetzen und auf uns und den Gendefekt aufmerksam zu machen.

 

Wie kann man mit Ihnen Kontakt aufnehmen? Für wen bieten Sie die Vernetzung an?

Wir sind dabei, eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Es gibt bereits eine Homepage, auf der man sich anmelden kann: www. gand-gatad2b.de. Aber wir sind auch auf Instagram unter gand_gatad2b_de und mit einer privaten Gruppe (Gatad2b -GAND Deutschland) auf Facebook vertreten. Und natürlich besteht noch die Whatsapp Gruppe, in der wir uns regelmäßig austauschen.

 

Autor: Stefan Weiss
Bilder: Adobe | Jenny Klestil Photographie

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