ATTR: Genträger, aber nicht automatisch krank?

Die seltene Erkrankung „Hereditäre Transthyretin Amyloidosen“, kurz ATTR, ist wenig bekannt und schwierig zu diagnostizieren. Wir sprachen daher mit dem Neurologen Prof. Dr. Wolfgang Löscher von der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck.

 

Dr. Löscher

Ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Löscher,

Oberarzt der Abteilung für

neuromuskuläre Erkrankungen, Universitätsklinik für

Neurologie, MedUni Innsbruck

Was versteht man unter der Erkrankung „ATTR“, früher auch als „TTR-FAP“ bekannt?


Es handelt sich um eine Erbkrankheit, die im Prinzip zwei Manifestationen hat: die einen sind kardial, die anderen neurologisch. Das heißt manche Betroffene zeigen Symptome der Polyneuropathie (bei der ATTR Amyloidose zu Beginn in Form von Schmerzen des Nervensystems), die anderen Zeichen einer Herzinsuffizienz. Das ist auch gleichzeitig das schwierige an der ATTR: die Diagnose ist sehr schwierig und erfolgt meist sehr spät.


Das heißt, entweder kardiale oder neurologische Symptome? Oder gibt es auch Mischformen?


Es gibt alle Formen. Meist ist eine Form vermehrt ausgeprägt und die zweite entwickelt sich im Hintergrund. Bei uns im Krankenhaus haben ca. die Hälfte der kardiologischen ATTR-Patienten eine leichte Polyneuropathie. Und jene mit einer schweren Polyneuropathie haben oft eine leichte Herz-Mitbeteiligung.


Von wie vielen Patienten sprechen wir da in Österreich?


In Österreich gibt es rund 15-20 diagnostizierte Patienten.


Und weltweit?


Eine Prävalenz bei der ATTR ist schwierig. Die Krankheit tritt in unterschiedlichen Ländern aufgrund genetischer Cluster sehr verschieden auf. In Portugal gibt es die meisten Fälle. Auch in Japan oder Schweden gibt es vergleichsweise viele Patienten. Für Europa schätzt man eine Prävalenz von unter 1:100.000


Portugal, Schweden, Japan: Könnte also sein, dass ein Seefahrer eine Genmutation weitergegeben hat?


Eine Ausbreitung von bestimmten Mutationen durch Auswanderungen / Seefahrer ist durchaus wahrscheinlich, allerdings gibt es mehr als 100 verschiedene Mutationen, so dass man nicht sicher sagen kann, wo bestimmte Mutationen ihren Ursprung haben. Fest steht, dass die hereditäre ATTR in verschiedenen Ländern unterschiedlich häufig auftritt und in gewissen Ländern manche Mutationen häufiger auftreten als andere.

 

Das Wichtigste bei dieser Prophylaxe ist, dass die Injektion regelmäßig verabreicht wird. Gerade Kinder und Jugendliche in der Pubertät, die nie Probleme aufgrund der Prophylaxe hatten, tendieren dazu, gegen die Eltern zu rebellieren und die Injektionen abzusetzen. Das kann jedoch gefährlich sein, da schon eine einzige Blutung ausreicht um bleibende Gelenksschäden zu verursachen.


Wie äußert sich die Erkrankung? Gibt es typische Symptome?


Neurologisch gesehen ist die Polyneuropathie sehr typisch. Die Symptome sind anfangs sehr diffus aber der Verlauf der Erkrankung ist progredient. Symptome könnten sein: neuropathische Schmerzen initial an den Füßen, Schmerzwahrnehmungsstörungen und Verlust der Temperaturempfindung, Schwäche und vermehrt sensible Ausfälle bzw. Gangunsicherheit. Meist beginnt es in den Zehen und steigt dann nach oben. Die Hände verlieren an Sensibilität, häufig kommt ein Karpaltunnelsyndrom hinzu.  Wenn die Erkrankung voranschreitet und keine der klassischen Polyneuropathieursachen gefunden wird, sollte man an eine ATTR denken, vor allem wenn sich autonome Symptome finden.

 

Kardiologische Symptome wären die Anzeichen einer Herzinsuffizienz, Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und Herz-Rhythmusstörungen.


In welchem Alter treten die Symptome meist auf?


Die meisten Patienten in Mitteleuropa weisen die ersten Symptome mit 50-60 Jahren auf.


Wie verläuft die Erkrankung dann?


Die Polyneuropathien weiten sich langsam, aber rascher als andere Neuropathien,  aus. Manche können sich dann nur mehr mit einer Gehhilfe fortbewegen. Bei weiterem Fortschreiten ist die Gehfähigkeit komplett eingeschränkt, sodass Patienten auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Wenn das Herz auch betroffen ist, dann versterben viele Erkrankte innerhalb von 10 Jahren.


Wie sehen die Therapien aus?


Für die ATTR gibt es derzeit keine ausreichenden Therapien. Es gibt nur ein zugelassenes Medikament zur Behandlung der Neuropathie. Dies verzögert dann die Verschlechterung der Erkrankung. Es heilt sie nicht. Zudem wird die Behandlung für Hämophilie glücklicherweise auch von der Kassa erstattet und wir hoffen sehr, dass das so bleibt. Dennoch gibt es bereits neue und bessere Medikamente, die zwar in Österreich die Zulassung haben, aber noch nicht von der Kassa erstattet werden. Dies wäre ebenfalls wünschenswert für die Zukunft.


Wie wird die ATTR übertragen?


Nachdem es sich um eine genetische Krankheit handelt, wird sie vererbt, und zwar dominant vererbt. Das heißt mit einer kranken Erbanlage bei einem Elternteil, wird die ATTR mit einer 50%-igen Wahrscheinlichkeit weitervererbt. Sie bricht allerdings nicht bei jedem aus. Das bedeutet man kann zwar die genetische Erkrankung haben, körperlich aber nicht zwingend krank werden.


Wie erfolgt eine Diagnose?


Die Diagnose ist sehr schwierig. Hier benötigt es eine Biopsie. Die Trefferquote ist allerdings nicht sehr hoch. Hier gibt es auch noch divergierende Meinungen der Ärzte, woraus die Biopsie erfolgen sollte. Die Genetik hat allerdings in letzter Zeit gute Fortschritte gemacht, daher erfolgt die Diagnose heute meist aus der Genetik.

 

Autor: Lukas Winter
Bilder: Fotolia | ZVG

Kommentar verfassen Kommentieren abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Drücken Sie Enter, um zu suchen, oder ESC, um zu schließen